"Eva!"Irgendwoher kannte ich diese hysterische Stimme. "Eva, bitte, bitte mach die Augen auf!"
Nein, sie klang nicht immer hysterisch, nur wenn sie aufgeregt war.
Ich versuchte mich zu erinnern, wem die Stimme gehörte. Ich versuchte die Augen zu öffnen und merkte, daß mir alle Glieder schmerzten.
"Eva, komm zu dir Schatz!", sagte die Stimme zärtlich, und laut, fast wieder hysterisch: "Nun tu doch endlich etwas!"
Jemand lief fort und endlich gelang es mir, die Augen zu öffnen. über mir war freier, blauer Himmel mit einigen Wolken. Einige Zweige ragten ins Bild und ein besorgtes Gesicht.
"Hey Aggie", sagte ich. Woher ich Ihren Namen wusste, war mir schleierhaft."Sie sehen fantastisch in dem Kleid aus!"
Ich versuchte mich aufzurichten und Schwindel überkam mich: "Na, ich hab mir ja einen merkwürdigen Platz für ein Nickerchen ausgesucht!"
Ich blickte mich um und fand mich in einem Garten unter einem Baum wieder.
"Von wegen Nickerchen!", sagte Aggie. "Du bist vom Baum gefallen. Geht
es dir gut? Soll ich einen Krankenwagen rufen?"
Ich schüttelte meinen schmerzenden Kopf. "Was wollte ich denn dort oben?", fragte ich.
"Na, den Vogel wieder ins Nest setzen!"
"Hab ich das wenigstens geschafft?"
Aggie nickte. Ein grosser, blonder Mann kam mit einem Eimer Wasser und einem Arzneikoffer angelaufen. "Kannst du alles bewegen?", fragte er. "Tut dir etwas weh?"
"Ja, mir tut alles weh!", sagte ich. "Das Wasser wollten Sie mir hoffentlich nicht überschütten!"
"Wenn du länger bewusstlos gewesen wärst schon!", sagte er und grinste mich freundlich an.
"Eva, ist auch wirklich alles in Ordnung?", fragte Aggie.
Ich zuckte die Schultern. "Ich bin mir nicht sicher. Irgendetwas stimmt hier nicht!"
"Kannst du aufstehen? Oh jeh, die Schrammen müssen wir gleich versorgen!"Aggie blickte mich noch immer besorgt, aus einem kreideweissen Gesicht an.
Ein wundervoller Kontrast zu ihren schönen, braunen Augen und ihrem langen, kastanienfarbenen Haar. Ich war ganz in Betrachtung versunken, als mich eine Stimme erneut in die Gegenwart zurückbrachte.
"Eva, soll ich nicht doch einen Krankenwagen rufen?"fragte Aggie erneut.
"Nein, nein!", sagte ich."Schon alles in Ordnung. Ich kann jetzt einen Cognac vertragen."
Aggie und der Mann, irgendwie kam er mir auch bekannt vor, tauschten prüfende Blicke aus. Ich setzte mich auf, wobei Aggie und der Mann mir unter die Schultern griffen. Die Umgebung kam mir merkwürdig bekannt und doch ganz unbekannt vor. Mein Kopf schmerzte, ich hatte mir nichts gebrochen, aber, seit wann zum Teufel hiess ich Eva? Gemeinsam wankten wir ins Wohnzimmer, wo ich mich auf eine Couch sinken liess. Aggie betupfte meine Schrammen an der Stirn und an den Armen mit einer "Autsch !"brennenden Desinfektionslösung und der junge Mann ging - in den Keller? - Cognac holen.
"Wer ist das?", fragte ich.
"Wer? Henne?", Aggie blickte mich erstaunt an.
"Ist ganz nett, oder?", fragte ich.
"Mein Gott!", sagte Aggie."Ich dachte schon, mir wäre ein Stein vom Herzen gefallen, als du endlich aus der Ohnmacht erwacht bist, aber jetzt mach ich mir erst recht Sorgen!"
"Also, Henne ist Ihr Gott?", fragte ich, das kam auch mir merkwürdig vor.
"Ich rufe jetzt einen Arzt!", sagte Aggie und griff sich ein Telefon.
"Mir geht es gut!", sagte ich. "Ehrlich, abgesehen von diesen paar Kratzern, fühle ich mich fast blendend."
"Und du weißt nicht, wer Henne ist. Zufällig nur seit acht Jahren dein Firmenpartner. Du sietzt mich und blickst dich hier um, als würdest du hier alles zum ersten Mal sehen. Da soll ich mir keine Sorgen machen?"
Irgendwie hatte die Frau sogar recht. Henne kam mit einer Flasche Cognac zurück und schenkte mir ein Glas ein. Ich versuchte mich zu erinnern, was war, bevor ich mit dem Gesicht zum Himmel, unter den Bäumen erwacht bin. Henne liess sich neben mir auf die Couch plumpsen und blickte mich lächelnd an.
"Geht es dir besser?"
"Ausser, daß sie nicht weiss, wer du bist", sagte Aggie und sprach weiter mit der Hörmuschel."Sagen Sie dem Doktor, er muss, sobald er wieder da ist, hierherkommen! Das ist ein Notfall! Nein, ich denke nicht, daß wir einen Krankenwagen brauchen. Ja, danke."
"Ich meine, bei Stürzen aus beachtlicher Höhe kommt es manchmal vor, daß sich die Betreffenden eine Weile nicht erinnern können.", sagte Henne. "Weißt du denn, wer du selbst bist?"
"Eva?"
"Und weiter?", fragte Aggie.
"Hmh, das fällt mir im Augenblick nicht ein."
"Ich brauch auch einen Cognac!", sagte Aggie, schenkte sich ein Glas ein und liess sich neben mir auf die Couch sinken. "Wegen einem Vogel, beinahe das Genick gebrochen!"Aggie seufzte und nahm noch einen Schluck. "Horrorszenarien habe ich mir ausgemalt", sagte sie. "Gebrochen Arme, oder Beine, aber das!"Aggie lächelte und blickte mir tief in die Augen, "ist hoffentlich nur eine vorübergehende Erscheinung."
"Ja, hoffentlich bis 18 Uhr!", sagte Henne. "Dann hast du einen Termin zum Abendessen mit dem Direktor einer Werbeagentur. Soll ich das für dich absagen?"
"Was bin ich von Beruf?", fragte ich.
Beide sahen mich verwundert an.
Aggie schüttelte den Kopf. "Eva, sag das das nicht wahr ist!", sagte sie.
"Was nicht wahr ist?", fragte ich.
"Daß du dich an nichts mehr erinnern kannst."
"Ich wusste deinen Namen", sagte ich. Zugegeben, wenn das alles war, was ich wusste, war das wirklich nicht sehr viel.
"Was haben wir denn getan, bevor ich vom Baum gefallen bin?", fragte ich.
"Die Hennatattoos für meine Hochzeit", sagte Aggie und streckte ihre bemalten Arme aus. Feine Muster in rotbraunen Farben schlängelten sich von ihren Händen bis zum Hals hinauf.
"Sieht schön aus!", sagte ich. "Wer hat das gemalt?"
"Eine Malerin!", sagte Henne. "Jedenfalls, war sie noch eine, bevor sie auf den Baum stieg!"
"Ich bin also Malerin?", fragte ich.
"Abgesehen davon, das du einige Bücher geschrieben, einige Modekollektionen entworfen und einige Werbefilme gedreht hast, Fotobildbände herausgiebst und gerade einen Skulpturenpark eröffnet hast, könnte man deine Berufsbezeichnung durchaus mit Malerin betiteln", sagte Henne und schlug sich laut lachend auf seine Schenkel.
"Was ist daran so lustig?", fragte Aggie.
"Das Eva in sechs Stunden einen Termin mit einer der grössten Werbeagenturen der Welt hat und sich jetzt nicht einmal daran erinnern kann, daß sie Malerin ist."Henne lachte weiter und weil sein Lachen ansteckend wirkte, konnten auch Aggie und ich uns vor lachen nicht mehr halten.
"Was ist an dem Termin wichtig?", fragte Aggie unter Kichern."Ich weiss sowieso nicht, warum Eva jetzt für eine Agentur arbeiten will, wo ihr bisher alles freiberuflich gemacht habt."
"Sie sagte, sie will sich einmal Aufgaben stellen, die andere ihr abverlangen, einen menschlicheren Chef. Als ihr eigener Chef ist sie erbarmungslos mit sich selbst. Geregelte Arbeitszeiten, Urlaub und vor allen Dingen: etwas Neues!"Henne blickte mir tief in die Augen: "Ist doch so, Baby? Oder?"
"Im Moment versuche ich noch herauszufinden, wem die Wohnung hier gehört", sagte ich und blickte mich um. "Alles ist ein wenig verschwommen. Nicht meine Optik. Mir kommt alles seltsam vor. Irgendetwas stimmt hier nicht. Ich bin keine Malerin oder sonst was, ich bin..."Aggie und Henne blickten mich interessiert an, "...Sekretärin..! Und ich heisse auch nicht Eva!"
Beide brachen gleichzeitig in Lachen aus.
Diesmal konnte ich die Komik nicht nachvollziehen. Die riesige Wohnung mit grossen Fenstern, einem Wendelaufgang nach oben, riesigen Pflanzen, die jetzt im einfallenden Sonnenlicht badeten, komplett in weiss gehalten, bis auf den anthrazitfarbenen Kachelboden, kam mir ebenso unbekannt vor, wie die zwei Menschen, die neben mir auf der Couch saßen. Ich kannte sie Beide, das stand ausser Frage, - doch irgendetwas stimmte hier nicht. Aggie und Henne hatten sich mittlerweile wieder eingekriegt. Es klingelte an der Tür.
"Na, der ist ja schnell!", sagte Aggie, öffnete die Tür und herein kam ein gehetzter Doktor mit einer grossen Tasche.
"Was ist passiert?", fragte er. Aggie erklärte es ihm in kurzen Zügen. In seiner gehetzten Art stürmte er auf uns zu, um dann bei der stählernen Wolfsskulptur, die in der Mitte des Raumes auf einem Podest stand, abrupt stehenzubleiben, sich die Brille von der Nase zu schieben und die Skulptur eingehend zu studieren. "Wundervoll !", sagte er schliesslich. "Als ich hörte, das Sie angerufen haben, bin ich gleich selbst gekommen. Ich musste Ihre neue Skulptur sehen", sagte er zu Aggie, "Doc Franz ist mit Experimenten beschäftigt."
"Knut, ich will Sie nun nicht gerade drängen", sagte Aggie: "Aber, wollen Sie sich nicht erst einmal Eva ansehen?"
"Da sie cognactrinkender Weise auf dem Sofa liegt und offensichtlich keine Schmerzen hat, muss ich mich erst an der Kunst ergötzen, um dann hundertprozentig meiner Arbeit nachzugehen. Aggie, Sie sehen bezaubernd in diesem Kleid aus!", sagte Knut. "Wundern Sie sich nicht darüber, wie ich so schnell herkomme? Hallo Eva, hallo Henne!"
"Hi, Knut!", sagten Henne und ich, wie aus einem Mund.
"Ich wundere mich nur darüber, daß mir heute jeder Komplimente über mein Kleid macht!", sagte Aggie.
Knut kam näher, schüttelte mir und Henne die Hand, packte seine riesige Tasche auf den Couchtisch vor uns und zog einige Instrumente daraus hervor.
"Ich verzieh mich zum Computer", sagte Henne, mit Blick auf die Instrumente und setzte sich einige Meter weiter, an einen Glastisch, auf dem eine fantastisch geformte, hypermoderne Computeranlage stand. Der Rechner erinnerte mich an visionäre Mondskulpturen, selbst die Glasplatte, die auf Figuren, wie Tänzerinnen, stand, kam mir seltsam vertraut und doch unbekannt vor.
Aggie in ihrem langen, schwarzen Schlauchkleid, setzte sich neben mich und streichelte meine Hand. "Ich hoffe, bis zu meiner Hochzeit, in drei Tagen, ist alles in Ordnung."
"Wen heiraten Sie denn?", fragte ich. "äh, du..."
"Na Friedberg", sagte Aggie und schenkte uns noch einen Cognac ein.
"Alkohol ist zwar nicht das Richtige, aber kann ich auch einen haben?", sagte Knut. "Machen Sie sich keine Sorgen, aber Ihnen fällt schon alles wieder ein", sagte er zu mir.
Aggie holte ein Glas, schenkte ein und setzte sich wieder neben mich. Knut untersuchte mich eingehend, leuchtete meine Augen aus, guckte in meine Ohren, prüfte meine Reflexe, horchte meine Lunge aus, liess mich aufstehen, bücken, hüpfen.
"Ausser ein paar Kratzern und Prellungen, kann ich nichts feststellen. Die Amnesie rührt eher vom Schreck her, als von einer Kopfverletzung. Der Blutdruck ist in Ordnung, der Puls auch. Ausruhen und eine Nacht darüber schlafen ist meine Empfehlung."
"Aber hundertprozentig ausschliessen können Sie eine Kopfverletzung nicht?", fragte Aggie.
"Ich denke doch", sagte Knut. "Eva, solang Ihre Amnesie währt, hoffe ich, das Sie Ihre Preise vergessen und mir zusichern, mir auch eine solche, wundervolle Skulptur zu bauen."
"Sie wollen behaupten ich hätte die Skulptur gebaut?", fragte ich erstaunt.
"Ja, ein Hochzeitsgeschenk für mich!", sagte Aggie.
"Ich glaube das Beste wird sein, wenn wir Eva nach Hause bringen. Die gewohnte Umgebung wird sich positiv auswirken", sagte Knut. "Sie nehmen ein Bad und schlafen sich ordentlich aus."
"Ist es nicht besser, wenn Eva hierbleibt? Sie kann sich hier ausruhen", sagte Aggie.
"Nein", sagte Knut. "Mit Verlaub, meine Liebe, Sie gestalten alle vier Wochen Ihre Wohnung komplett neu. Es ist ein Wunder, daß Sie sich hier überhaupt zurechtfinden!"
"Sag mal Aggie", Henne war von seinem Computerplatz aufgestanden und legte lässig seinen Arm über Aggies Schulter. "Hast du Eva schon mal so genügsam gesehen. Ich meine, das ist doch bemerkenswert. Kein ständiges: Ich hab eine gute Idee-Gekreische, oder diese schon pathologische Sucht, jeden Tag ein Bild zu malen, das Tagebuchgekritzel. Immer am machen und jetzt? Die Ruhe selbst!"
"Mach dich nicht darüber lustig", sagte Aggie und streifte Hennes Arm ab."Sieh es vielmehr als Chance, dich um Eva zu bemühen."
Henne lachte, reichte mir die Hand und sagte: "Komm, Schatz. Ich fahre dich nach Hause. "
Verdutzt blieb ich sitzen.
"Ich komm mit", sagte Aggie.
"Nein!", sagte ich. "Wann kann ich jemals wieder, so objektiv, etwas über mich selbst erfahren?"
"Das ist das Beste", sagte Knut. "Stellen Sie sich allein der Herausforderung. Ich kann nachher bei Ihnen vorbeikommen und nach Ihnen sehen."
"Das ist nicht nötig", sagte ich. "Ich glaub, es tauchen schon vage Erinnerungen an die Vergangenheit auf."Doch irgendwie war ich mir sicher: Irgendetwas stimmte hier nicht.
"Wie bin ich denn hergekommen?", fragte ich.
"Mit Henne", sagte Aggie.
Henne tänzelte und machte Faxen: "Mit mir Babe", singsangte er..."wirst du wieder glücklich sein". Er brachte uns alle zum Lachen.
"Ich geh noch ins Bad und dann können wir von mir aus losfahren", sagte ich zu Henne."äh, wo ist das Bad?"
Aggie wies mir den Weg, folgte mir jedoch gleich und zog die Tür hinter uns zu.
"Eva, das ist doch alles nur Show. Oder?", fragte sie. "Willst du dich jetzt als Schauspielerin versuchen?"
"Ich habe keine Ahnung, wo ich hier bin, noch wie ich hierherkomme. Was ich für ein Mensch bin, oder du. Woher ich dich oder Henne kenne, selbst wie ich aussehe kommt mir merkwürdig vor".
Ich betrachtete mich im Spiegel und Aggie neben mir.
"Ich hatte erwartet, das ich anders aussehe", sagte ich.
"Wie denn?"
"Ich weiss nicht, ich kann mich nicht erinnern, das ich heute morgen Makeup aufgetragen habe."
"Wahrscheinlich ist das auch noch von gestern Abend", sagte Aggie und lächelte mein Spiegelbild an. "So wie ich dich kenne, hast du weder geschlafen, noch geduscht. Wenn du jetzt wirklich nach Hause fahren willst, soll ich dann nicht doch lieber mitkommen?"
Ich schüttelte den Kopf. Der Schmerz war einem leichten Dröhnen gewichen. Ich fühlte mich gut, war jedoch ein wenig müde.
"Ich bin ja mal gespannt, wie meine Wohnung aussieht!", sagte ich.
"Mit Sicherheit kannst du überall vom Fussboden essen!", sagte Aggie. "Deine extreme Ordnungsliebe, kann manchmal schon richtig nervig sein."
"Henne und ich - wir sind mal ein Paar gewesen?"
Erwartungsvoll blickte ich Aggie an.
"Früher habt ihr mal zusammengewohnt, aber Henne war dir schon immer zu unordentlich. Seit ihr nur noch das Atelier zusammen habt, seid ihr die besten Freunde."
Aggie runzelte die Stirn. "Ist schon komisch, ich könnte dir jetzt sonstwas erzählen. Wahrheit ist schon immer eines unser beliebtesten Diskussionsthemen gewesen. Die Wahrheit ist irgendwo da draussen...."
"...dann lass uns endlich rausgehen..", sagten Aggie und ich, wie aus einem Mund. Daß ich Aggie schon lange kenne, wurde mir in diesem Augenblick klar.
"Einmal sind wir sieben Mal hintereinander in den gleichen Film gegangen, weil du den Schauspieler so süss fandest", sagte sie, "und an der Stelle, wo er dann sagt: Die Wahrheit ist irgendwo da draussen..., haben wir lauthals gekreischt: Dann lass uns endlich rausgehen! und fluchtartig das Kino verlassen. Das ist schon eine Ewigkeit her."
Einem innigen Impuls zufolge, umarmte ich Aggie. "Dann lass uns endlich rausgehen!"
Als wir ins Wohnzimmer zurückkehrten, fanden wir Henne und Knut in ein angeregtes Gespräch vertieft.
"Wie geht es Ihnen jetzt?", fragte Knut, griff sich meine Hand, den Puls messend und leuchtete gleich darauf, mit seiner kleinen Stablampe in meine Augen.
"Danke, ich bin in Ordnung. Also, wo kamen Sie nun so schnell her?"
"Weil ich gestern nicht zur Party kommen konnte, wollte ich heute unbedingt diese Skulptur sehen."
"Welche Party?", fragte ich.
"Na meine Abschiedsparty vom Singledasein", sagte Aggie. "Das war eine tolle Party!"Sie bekam einen schwärmerischen Gesichtsausdruck."Das wundervollste war dann die Skulptur. Ich glaube, daran kann ich mich in Jahren noch nicht sattsehen!"
"Und dann...", sagte Knut, "war ich gerade auf dem Weg hierher, als mich die Sprechstundenhilfe von Doc Franz anrief."Knut schüttelte den Kopf. "Seit ich Doc Franz die Praxis übergeben habe, habe ich mehr denn je zutun."
Er wandte sich an Aggie. "Sie hätten ihm niemals vom Isotank erzählen sollen. Seit fünf Tagen steckt er nun schon wieder darin."
"Was tut er denn in dem Tank?", fragte ich.
"Er erforscht sein Unterbewusstsein", sagte Aggie.
"Oder er versucht herauszufinden, was vom Menschen übrigbleibt, wenn ihn nur Leere umgiebt", fügte Henne zynisch hinzu.
"Wenn ich ihm davon erzähle", fuhr Kurt fort, "wie ich auf dem Weg hierher, von seiner Sprechstundenhilfe hierher geschickt wurde, wird er mir mit leuchtenden Augen erzählen: Synchronizitäten bilden den wahren Zusammenhang der Welt. Ich habe Sie geschickt, Doktor!"Knut blickte mich freundlich an:"Wenn Sie in einer Woche noch nicht wissen, wer Sie sind, sollten wir Sie vielleicht in den Isotank stecken."
"War ich denn auch auf der Party?", fragte ich.
"Und wie...", sagte Henne, zwinkerte mit den Augen und warf mir laut schmatzende Luftküsse zu.
"Du bist doch nur eifersüchtig!", sagte Aggie zu ihm. Sie musste mir meine Verzweiflung darüber, das ich mich an nichts erinnern konnte, angesehen haben, denn sie nahm mich bei der Hand und führte mich zur Couchecke.
"Also, Schatz, bevor ich dich jetzt in die Leere gehen lasse, koch ich erst einmal einen Tee und erzähle dir von gestern Abend", sagte sie zu mir. "Und suche deine Sachen zusammen."
Sie ging zum anderen Ende des Raumes in die Wohnküche und las hier und dort Kleidung, Stifte und andere Dinge auf.
In meinem Kopf schwirrten unzählige Erinnerungsfetzen, die ich allesamt nicht einordnen konnte. Mich erschreckte das Gefühl der Leere. Dabei sass ich nicht einmal in einem Isotank.
Anfangs hatte es mich eine Weile amüsiert, nicht zu wissen wer ich bin, doch jetzt erschreckte mich der Gedanke, keine Vergangenheit zu haben. Ich wusste noch nicht einmal meinen ganzen Namen. In diesem Augenblick beneidete ich sie alle. Aggie, die selbstsicher in ihrer Küche hantierte. Henne, der jetzt mit dem Doktor vorm Computer sass und mir immer wieder neugierige Blicke zuwarf. Sie alle wussten, wo sie herkamen und wo sie hingehen würden.
Aggie kam mit Tee und Keksen zurück, legte einen Stapel Klamotten neben mich und setzte sich. "Wir hatten gestern eine kleine Party", sagte sie und schenkte Tee ein.
Henne und Knut setzten sich zu uns. Ich stopfte mir einige Kekse in den Mund und hörte interessiert zu.
"Viele Freunde und einige Bekannte waren hier", erzählte Aggie weiter. "Aber, das Tollste ist die Skulptur! Damit habe ich ganz und gar nicht gerechnet."
"Seit wann stopfst du dir so viele Kekse auf einmal in den Mund?", fragte Henne und amüsierte sich scheinbar köstlich.
Ich verschluckte mich fast an den Keksen und Aggie warf Henne einen vorwurfsvollen Blick zu. Knut klopfte mir gleich auf den Rücken, was allerdings wegen der Prellungen schmerzhafter war, als das Verschlucken unangenehm.
"Also Henne und ich sind gestern abend gemeinsam gekommen?", fragte ich.
"Oh ja, das wär schön", sagte Henne gleich.
"Henne, jetzt sei doch mal still", zischte Aggie."Wie soll Eva sonst den Zusammenhang begreifen?"
"Liebe Eva", monotonisierte Henne. "Gestern Abend um circa neunzehn Uhr, habe ich dich zuhause abgeholt und wir sind zusammen hierhergekommen. Zu Aggie auf die Party!"
Henne holte tief Luft und singsangte wie ein Prediger weiter: "Das war zeitlich kooper-ie-ie-iert. Mit dem Trans-por-or-orter...Dann ha-ah-haben wir..."
"Jetzt reicht es aber wirklich!", obwohl Aggie bei diesem Singsang lachen musste, meinte sie das durchaus ernst.
"Mich amüsiert das", sagte ich."Erzähl bitte weiter."
"Dann haben einige Helfer die Skulptur reingetragen, nein , vorher, haben wir Aggie die Augen verbunden und sie musste ertasten, was das ist. Hätte sie das nicht herausgefunden, wollten wir die Skulptur wieder mitnehmen!"
"War dein zukünftiger Mann auch auf dieser Party?", fragte ich Aggie.
"Ja, du hast ihm irgendwann glaubhaft versichert, daß die Brautpartner, zweiundsiebzig Stunden, bevor sie sich verheiraten, getrennt voneinander in sich kehren müssten", sagte Aggie. "Das uralte archaische Götter so ihren Segen erteilen und so viele Ehen scheitern, weil diese uralten Bedingungen nicht erfüllt würden. Die Braut müsse noch den geheimen Zeremonien unterzogen werden."Aggie kicherte und sah sich ihre Arme an. "Ich glaube Friedberg ist exakt zweiundsiebzig Stunden, bevor wir uns verheiraten, gegangen. Vorher hat er alle zehn Minuten auf die Uhr gesehen!"
"Die Zeremonie war die Bemalung der Arme?", mutmasste ich.
Aggie nickte und lachte: "Das war toll, erst den Wolf ertasten, dann auf einem Thron gehoben. Die vielen lieben Leute..."
Ich rührte in meinem Geist, konnte aber beim besten Willen kein inneres Bild heraufbeschwören.
"...und die Tänzer. Was für ein Tanz", Aggie schwärmte weiter und liess sich in die weichen Kissen zurücksinken.
"Auch wenn Eva sich an gestern erinnern könnte, daran bestimmt nicht", sagte Henne und grinste übers ganze Gesicht.
"Wie meinst du das?", fragte ich.
"Na, erst hast du die ganze Zeit mit dem Fotografen rumgeshakert und später mit dem Modeheini rumgeknutscht", antwortete Henne.
Auch daran konnte ich mich nicht erinnern.
"Pah, rumgeknutscht", sagte Aggie."Sie hat ihn einmal geküsst. Ein Wunder, daß du das überhaupt gesehen hast. Ich glaube dich habe ich den ganzen Abend nur vor dem Computer sitzen sehen!"
...........................................................................Fortsetzung folgt.